Bereits im Sommer letzten Jahres hatten die Erzieherinnen des evangelischen Kindergartens Regenbogen begonnen, neue Wege in der Pädagogik zu beschreiten. Dass sie mit ihrem neuen Konzept richtig liegen beweist ein wunderbares Projekt, bei dem sich alle gemeinsam in die eisigen Welten der Arktis begaben.
Mit Hilfe einer Pädagogischen Qualitätsbegleitung, die das Team bei der Planung und Umsetzung unterstützte, stellte der Kindergarten sein Konzept auf die sogenannte Offene Arbeit um. Weg von den ehemaligen, in sich geschlossenen Gruppenräumen und getrennten Kindergartengruppen, hin zu einem offenen Haus für alle Kinder, die sich den ganzen Tag über weitestgehend frei in sogenannten Funktionsräumen beschäftigen können.
Viel Platz für kleine Forscher
Neben einem riesigen Rollenspielzimmer mit Küche, Wohnzimmer, Einkaufsladen, Verkleidungsmaterialien, Friseur und vielem mehr, können die Kinder im Baubereich großflächig mit verschiedensten Spiel- und Alltagsmaterialien bauen und konstruieren oder im Atelier ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Der Forscherraum lädt kleine Forscher ein, zu messen, zu wiegen, mit Magneten, Licht oder Flüssigkeiten zu experimentieren sowie Dinge unter dem Mikroskop zu betrachten. Sogar die Möglichkeit, erste Programmierversuche zu machen, besteht. In der hauseigenen Bücherei kann in Ruhe geschmökert werden und auch das Ausleihen von Büchern nach Hause ist jederzeit möglich. Erste Schreibversuche werden in der Schreibwerkstatt gestartet, dort werden auch Briefe verfasst und „verschickt“ und die Kinder können, wie die Großen mit Locher, Stempel, Rechenmaschine und vielem mehr am ausrangierten Bürotisch Schuldirektorin, Postbeamtin oder Büchereichefin sein.
Wer Bewegung braucht, kann jederzeit den Bewegungsraum nutzen, nicht nur zum Toben, sondern auch teilweise zum Tanzen und Musizieren. Wann immer es möglich gemacht werden kann, steht der Außenbereich des Kindergartens ebenfalls zum Spielen zur Verfügung.
Eigenverantwortung gefragt
Ziel der Umstellung ist es, die Kinder als aktive Gestalter ihres Tuns in ihrer Eigenverantwortung und Selbstbestimmung zu stärken. Die Funktionsräume werden als Themenbereiche betrachtet, die die Kinder zum Lernen, Experimentieren, Erleben und Ausprobieren einladen. Die Kleinen können weitestgehend frei ihren Interessen nachgehen und selbst entscheiden, was, wann, wo und mit wem sie spielen möchten.
Die einzelnen Funktionsräume sind hierbei nicht als isolierte Bereiche zu verstehen, sondern greifen immer wieder ineinander über, was an folgendem Beispiel aus der Praxis verdeutlicht werden soll:
Auf in die Arktis!
Das kalte Winterwetter in den vergangenen Wochen griffen die Erzieherinnen auf, um mit den Kindern über das Leben in Eis und Schnee zu sprechen. Gemeinsam wurde in Büchern nachgeschlagen, welche Tiere im Eis leben, welche Teile der Erde mit Eis bedeckt sind und was das für das Leben der Bewohner bedeutet. Hieraus entwickelten sich verschiedene Aktivitäten. Es entstand zum Beispiel die Idee, im Baubereich ein Iglu für die Kuscheltiereisbären und Pinguine zu bauen, aber auch die Kinder sollten darin Platz finden. Nach einigen Recherchen im Internet war der Plan gefasst, aus Eierkartons ein Rieseniglu zu bauen. Unmengen von Eierschachteln wurden gesammelt und anschließend mit Pinsel und Kleber in Teamarbeit zusammengeklebt. Da irgendwann eine Höhe erreicht war, an die die Kinder nicht mehr herankamen, wurde das Oberteil des Iglus in einem Extraarbeitsschritt gefertigt und später von den Erwachsenen auf das Iglu gesetzt. Anschließend waren die Künstler aus dem Atelier gefragt, um mit Farbe und Pinseln anzurücken und das Bauwerk weiß anzustreichen. Nach einer Woche Bauzeit war es endlich soweit und das Iglu konnte bezogen werden.
Jede Menge Experimente
Parallel dazu hatten auch die Forscher viel zu tun, denn die Legoeisfiguren im Baubereich benötigten natürlich in ihrer Eiswelt am Thementisch „Schnee“. Daher wurde im Forscherraum gerührt, geschüttet und gemischt: aus Rasierschaum und Speisestärke, aus Speisestärke und Haarspülung und aus Soda, Seife und Wasser wurde unterschiedlicher Schnee hergestellt. Alle drei „Schneesorten“ wurden dann untersucht und in ihrer Konsistenz verglichen. Diese war sehr unterschiedlich und so auch in verschiedenster Form zu gebrauchen, der pulvrige Schnee diente als Untergrund für die Schneelandschaft, während der festere Schnee sich besser zum Formen von Schneemännern und Eisbären eignete, da er sogar nach einigen Tagen richtig fest wurde.
Um selbst in die Rolle der Arktisbewohner schlüpfen zu können, gab es im Bewegungsraum einen Polarparcours, den es zu meistern galt: ein Eisberg musste erklommen, über Eisschollen gesprungen, schwere Schlitten gezogen und zu guter Letzt ein Eisbär verscheucht werden. Im Anschluss wurden die Teilnehmer mit Medaillen als Polar-Experten ausgezeichnet.
Im Eingangsbereich der Einrichtung konnten die Kinder an einer Messlatte die Größenverhältnisse zwischen den Tieren sehen und mit sich selbst vergleichen. „Meine Mama ist ein Eisbär“ erklärte ein Mädchen lachend, nachdem sie ihre Mama gemessen hatte.
Solange die Kinder Interesse am Thema haben, wird weiter dazu geforscht, gebaut und gearbeitet werden, bis es irgendwann zum Beispiel einmal heißt: „unsere Tiere brauchen ein Krankenhaus, die Ritter eine Burg oder die Bewohner in der Rollenspielecke brauchen Polizei und Feuerwehr, da ständig etwas anbrennt oder gestohlen wird.
Offene Arbeit ist also immer auch ein Prozess, ein ständiges Beobachten, Reflektieren, sich Absprechen, sich und Räume Verändern… , ein spannender Weg, den Erzieherinnen und Kinder gemeinsam gehen.
Von Steffi Urban